Falsche Ursula — Mercedes Rosende | Rezension

Teil 1 der Montevideo-Reihe, übersetzt aus dem Spanischen von Peter Kultzen und herausgegeben vom Unionsverlag Berlin, dt. Ersterscheinung Februar 2020
Ich bekam »Falsche Ursula« von einer Freundin zum Geburtstag geschenkt und war, auf der Stelle und auf einen Schlag, begeistert. Allein der Waschzettel verspricht Krimivergnügen, wie man es vielleicht sonst nicht so schnell findet. (Da ich dem zielgenauen Gespür meiner Freundin vertraue und sie mich in beinahe 15 Jahren noch nie mit einem schlechten Buch hat sitzen lassen, mag ich voreingenommen gewesen sein; aber ich konnte es kaum abwarten.)
Der Plot ist, wie versprochen, komplett absurd: Es könnte eine französische Komödie sein, am besten mit Pierre Richard — aber ich will der Geschichte nicht Unrecht tun. Es ist keinesfalls Klamauk, der hier feilgeboten wird. Es ließe sich in einem Drehbuch trefflich überspitzen, allerdings müssen dann auch die düstereren Töne sitzen. Und die gibt es bei Ursula — mehr und mehr, bis es einem ein bisschen die Kehle zuschnürt. Nur so ganz leicht. Denn »Ursula« blickt tief, tief in den Abgrund.
Das Buch ist vergleichsweise kurz und verschwendet schon allein deshalb keine Zeit — und wird damit seinem Anspruch 100% gerecht. Auch wenn man sich bei dem ein oder anderen Exkurs zuerst fragen mag, wozu das gut ist; es ist. Ist es immer. Bis man dasitzt und sich denkt:

Au backe.
Der tiefste Abgrund ist Ursulas Selbsthass — genährt in ihrer Kindheit durch ihren Vater und ihre Tante — den sie auf alle anderen in ihrer Umgebung projiziert. Zwar zweifelt man am Ende nicht an der fatphobia der Ärzte, aber es ist ein starker Moment, wenn das Ausmaß ihrer Selbstverachtung deutlich wird. Mit einem einzigen Satz fällt das ganze Kartenhaus zusammen, rückt alles einen halben Zentimeter in die andere Richtung. Und schon ist alles anders. Welches Bild hatten wir wohl vorher von Ursula? Und welches stellt sich uns plötzlich entgegen?
Die Dialoge sind auf den Punkt gefeilt und besonders die Interaktionen zwischen Entführungsopfer und Entführern so herrlich… höflich. Überhaupt sind alle schrecklich höflich; man will sich ja nicht gegenseitig den Tag verderben. Die Beschreibungen sind äußerst evokativ; mit Absicht insbesondere die von Ursulas Essverhalten, wenn sich ihre wahre Natur offenbart. Man mag diese Passagen für pietätlos halten, oder Stereotype bestärkend. Teilweise grotesk, sogar abstoßend. Doch ist es wichtig, dabei nicht zu vergessen, dass Ursula sich selbst beschreibt, durch die Brille ihres Selbsthasses und der (teils tatsächlichen, teils imaginären) Verspottung durch ihre Umwelt.
Ein großes Lob gebührt hier auch der grandiosen Übersetzung!
Das Verbrechen, derweil, läuft — wie einiges in diesem Krimi — nicht so, wie man es sich vorstellt. Eine Enthüllung nach der nächsten fällt auch den Leser:innen wie Schuppen von den Augen. Rosende streut Details immer gerade oft genug ein, dass man buchstäblich darüber fällt. Und dann die Genugtuung, wenn man Recht behält — und wer es nicht hat kommen sehen, kommt erst recht auf die Kosten. Ein gut konstruierter Pilot lässt das Piraten zu, gute Autor:innen ermutigen es auch. Rosende hat daran offensichtlich ebenfalls ihren Spaß.
Fazit: Wer auf der Suche ist nach einem kurzweiligen, außergewöhnlichen Kriminalroman, sollte »Falsche Ursula« auf jeden Fall in die Hand nehmen. Ich freue mich schon auf den nächsten Teil!